Beim Thema Geschlecht gibt es eine große Vielfalt, aber oft auch Unsicherheiten – auf allen Ebenen. Oft wurde und wird Geschlecht am Körper einer Person, insbesondere an den Genitalien, festgemacht. Wir wissen heute, dass Geschlecht nicht allein von Genitalien bestimmt wird.
Das körperliche oder auch biologische Geschlecht wird in verschiedene Ebenen unterteilt:
- die äußeren Geschlechtsorgane (Genitalien)
- die inneren Geschlechtsorgane
- die Keimdrüsen (Gonaden) und Hormone
- die Chromosomen
- und die sekundären Geschlechtsmerkmale (Brüste, Körperbehaarung)
Dabei gibt es mehr als nur zwei Optionen:
Menschen, deren körperliches Geschlecht (z.B. die Genitalien oder die Chromosomen) nicht den medizinischen Normen von eindeutig männlich oder weiblich Geschlecht zugeordnet werden kann, werden intergeschlechtlich oder auch Inter genannt. Sie haben z.B. sowohl Hoden und eine Vagina oder ein Organ, das als „Mikropenis“ oder „Megaloklitoris“ bezeichnet wird.
Das selbstbestimmte Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität einer Person, können wir nicht sehen, sie lässt sich nur durch Fragen erfahren.
Viele Menschen sind Männer oder Frauen – und stellen das auch nicht in Frage. Manche sind aber sowohl Männer als auch Frauen oder weder Männer noch Frauen. Diese Personen nennen sich selbst oft „nichtbinär“, da sie aus dem klassischen binären Geschlechtermodell herausfallen. Manchmal auch „trans“, wenn Menschen sich nicht, nicht ganz oder nicht immer dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Oder wenn sie intergeschlechtlich sind, „inter*“.
Für Personen, deren selbstbestimmtes Geschlecht mit dem Geschlecht übereinstimmt, dem sie bei der Geburt zugewiesen wurden, ist der Begriff „cis“ geprägt worden. Dennoch nutzen nicht alle Personen, auf die das zutrifft, diese Begriffe für sich. Diese Begriffe sind Versuche, das eigene Geschlechtserleben zu erklären und für andere nachvollziehbar zu machen.
Das soziale Geschlecht besteht aus mehreren Dimensionen. Die Geschlechtspräsentation beschreibt, wie eine Person Geschlecht nach außen präsentiert, z.B. über Kleidung, Make-Up oder Körpersprache. Wenn z.B. Männer oder Menschen, die als Männer wahrgenommen werden, Make-Up, Kleider oder hohe Schuhe tragen, müssen sie häufig mit Blicken, Kommentaren und Diskriminierung rechnen.
Die Geschlechterrolle beschreibt verschiedene Verhaltensweisen, die gesellschaftlich als typisch für ein Geschlecht gelten. Z.B. beinhaltet die weibliche Geschlechterrolle es, die Kindererziehung zu übernehmen, zu kochen oder häuslich und emotional zu sein. Wenn eine Person von ihrer Geschlechterrolle abweicht, also z.B. als Frau selbstbewusst oder „burschikos“ ist, muss sie ebenfalls häufig mit Abwertung und Diskriminierung rechnen.
Das juristische Geschlecht beschreibt den Personenstand. Seit 2019 gibt es in Deutschland dafür 4 Optionen, die im Pass oder in der Geburtsurkunde eingetragen werden können. Männer, Frauen, Menschen ohne Personenstand sowie den Personenstand „divers". Seit 2013 mussten intergeschlechtliche Kinder ohne Personenstand in die Geburtsurkunde eingetragen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat 2018 entschieden, dass es einen dritten positiven Eintrag geben muss. Dieser heißt „divers“. Eine Änderung des Personenstandes ist in Deutschland zwar möglich, aber bislang sehr kompliziert. Kostspielige Anträge bei Gericht, umfangreiche Gutachten bei psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachter*innen und hohes Maß an Fremdbestimmung bestimmen diesen Weg.
Das binäre Geschlechtersystem geht davon aus, dass es nur zwei Geschlechter, nämlich männlich und weiblich, gibt. Andere Geschlechter oder Zwischenstufen sind darin nicht vorgesehen. Das gilt für jeden gesellschaftlichen Bereich, also z.B. die, mit dem Geschlecht verknüpften sozialen Rollen, Geschlechtsidentitäten und körperlichen Geschlechter von Menschen. Intergeschlechtliche, nichtbinäre und andere Menschen, die nicht in dieses System passen, werden dabei nicht berücksichtigt. Das binäre Geschlechtersystem erleben wir im Alltag immer wieder, z.B. durch entstehende Irritationen, wenn Jungen gerne Kleider tragen, mit Puppen spielen wollen oder lange Haare haben.
Die Geschlechtsidentität eines Menschen bezeichnet, mit welchem Geschlecht oder welchen Geschlechtern sich ein Mensch selbst identifiziert. Die Geschlechtsidentität eines Menschen muss nicht mit dem Geschlecht übereinstimmen, das der Person bei der Geburt zugewiesen wurde.
Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, können sich als transgender, transident, transgeschlechtlich, trans* bezeichnen.
Der Begriff Queer wird heute meist als positive Selbstbezeichnung gebraucht, vor allem von Menschen, die ihre Identität als „außerhalb“ der gesellschaftlichen Norm ansehen. Queer kann zudem eine nützliche Bezeichnung für Menschen sein, die sich ihrer Orientierung oder ihrem Geschlecht (noch) nicht sicher sind. Der Begriff kann Personen, Theorien und Bewegungen bezeichnen, steht aber auch für eine Theorierichtung und einen Wissenschaftszweig.
Bei all dieser Vielfalt kommt es vor allem darauf an, jedem Gegenüber vorurteilsfrei zuzuhören und Wünsche, aber auch Sorgen und Befürchtungen ernst zu nehmen, denn jeder Mensch ist Expert*in seiner selbst. Es ist wichtig Miteinander in den Kontakt und ins Gespräch kommen, denn nur dadurch lassen sich Unsicherheiten und Berührungsängste aus der Welt schaffen.
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